Das Gerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2023 (siehe Rubrik Presse) ist ein Meilenstein für die Akzeptanz der Legasthenie und hoffentlich bald auch Dyskalkulie.
Ich persönlich begrüße dieses Urteil, da wir nun "einfach drüber reden" können.
Liebe Interessierte,
mich erreichen überregionale Anfragen zum Umgang mit Legasthenie und Dyskalkulie. Hier lesen Sie einige Situationen aus der Praxis. Zur Vereinfachung greife ich auf folgende Bezeichnungen zurück:
Mini=Grundschule | Maxi=Sek I bzw Sek II | Päd= Lehrkraft | Senior=Elternteil
Mini (LRS):
"Wir haben einmal in der Woche eine Lesestunde. Wir kriegen alle das gleiche Buch und müssen der Reihe nach jeder eine Seite vor der ganzen Klasse laut lesen. Aber ich kann doch nicht so gut lesen; ich lese vor guten Freunden oder meinen Eltern, aber wenn ich vor der Klasse lese, dann stottere ich."
So nicht - im Rahmen des Nachteilsausgleichs sollte auf ein lautes Vorlesen vor der gesamten Klasse ohne Wortmeldung verzichtet werden; in diesem Fall sollte Mini die Möglichkeit bekommen in einer Kleingruppe zu lesen.
Maxi (LRS):
"Ich habe Latein und in den Arbeiten werden bei der Übersetzung ins Deutsche die Rechtschreibfehler voll bewertet."
Im Rahmen des Nachteilsausgleichs dürfen die Rechtschreibfehler nicht die Lateinnote beeinträchtigen.
Maxi (LRS, Klasse 8):
"Seit der 5. Klasse wird im Rahmen des Nachteilsausgleichs auf die Rechtschreibfehler verzichtet und jetzt soll ich nur noch pauschal eine Zeitverlängerung von 15 Minuten in Arbeiten erhalten..."
Das "Pauschalprinzip" verstößt gegen die individuelle Regelung. Dennoch kann die Schulkonferenz ab der 7. Klasse neu über den Nachteilsausgleich entscheiden.
Päd (ADHS):
"Kann für die Diagnose ADHS ein Nachteilsausgleich gewährt werden?"
Ja, das ist möglich. ADHS beeinträchtigt Kinder nachweislich beim Lernen und kann auch als Behinderung gelten. Wenn Ihnen die medizinische Diagnose vorgelegt wird, können Sie den Nachteilsausgleich "maßgeschneidert" für das Kind gestalten. Unter anderem kann eine Zeitzugabe und/oder auch ein separater bzw. reizfreier Raum bei Arbeiten förderlich sein.
Anmerkung: dieses gilt auch für ADS.
Senior (Bewertung der Rechtschreibung in Mathe):
"Mein Kind hat in der Mathearbeit einen Punktabzug bekommen, da statt Quader dort Jader stand. Die LRS ist bekannt."
Das ist falsch. Bitte sprechen Sie mit der Päd. Im Fach Mathematik wird der Bereich Rechnen bewertet; es handelt sich hier eindeutig um einen Rechtschreibfehler.
Maxi (Dyskalkulie):
"Mein Päd hat mir angeboten die Mathearbeiten gemeinsam mit den LRS-Kindern in einem anderen Raum und länger zu schreiben. Muss ich das?"
Vorab: du musst das Angebot nicht annehmen. Du solltest das Angebot auf jeden Fall mal ausprobieren und wenn du dich nicht gut damit fühlst, kannst du es beim nächsten Mal wieder anders machen.
Du hast richtig Glück mit deinem Päd - du wirst ernst genommen. Im Bereich Mathematik wird der Nachteilsausgleich unterstützende Maßnahmen genannt und ist nicht immer bekannt.
Senior (Anmeldung weiterführende Schule):
"Bei uns steht die Anmeldung für die Sek an. Soll ich die LRS erwähnen?"
Hier gehen die Meinungen generell auseinander. Ich persönlich würde die LRS aus folgenden Gründen erwähnen: sollte es Förderangebote in der neuen Schule geben, so können Sie schon einmal den Wunsch auf die Teilnahme an einer schulischen Förderung für Ihr Kind proaktiv ansprechen. Ferner können Sie erfragen, wie der Umgang mit dem Nachteilsausgleich ist und welche Nachweise verlangt werden. Vorteilhaft ist zudem, wenn Sie noch einen Nachweis über eine regelmäßige außerschulische Förderung erbringen können.
Wichtig zu wissen: ab der 7. Klasse muss der Nachteilsausgleich nur in besonders begründeten Einzelfällen weiter gewährt werden, wenn die Behebung der besonderen Schwierigkeiten des Lesens und Schreibens trotz Fördermaßnahmen bis zum Ende der Klasse 6 nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben.
Sagen wir mal so: auch wenn Sie die LRS nicht erwähnen wird es irgendwann auffallen. Das Gerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom
22. November 2023 trägt auf jeden Fall zur Transparenz bei und wird Ihnen bzw. Eltern und Päds die Entscheidung über den Vermerk zukünftig abnehmen.
Senior:
"Mein Kind besucht die 5. Klasse und hat eine LRS. Jetzt wird zudem eine Dyskalkulie vermutet. Kann das sein?"
Ja, es gibt Kinder, die sowohl eine Legasthenie als auch eine Dyskalkulie haben. Sie müssen Ihr Kind auf jeden Fall beim Spezialisten testen lassen. Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass die Aufgabenstellungen im Bereich Mathematik so umfangreich sind, dass Ihr Kind diese aufgrund der LRS nicht richtig lesen und verstehen kann. So kann es zu falschen Rechenoperationen kommen. Im Rahmen des Nachteilsausgleichs werden Ihrem Kind die Aufgaben vorgelesen, damit die mathematischen Fähigkeiten nicht beeinträchtigt sind.
Herzlichen Dank an alle Päds, die offen für das Thema Legasthenie und Dyskalkulie sind, und sich jeden Tag für unsere Schützlinge einsetzen!
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